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200 Jahre Fahrrad

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Hoch soll es leben!

Das Velo feiert seinen 200. Geburtstag. Eine Würdigung des humansten und freiheitlichsten aller Verkehrsmittel.

Es gibt einen Ort, an dem sich Leistung noch lohnt. Er ist schlecht gepolstert, bietet keinerlei Schutz vor den Elementen ..... mehr >>und geizt auch sonst mit Komfort, besticht aber durch eine einmalige Aussicht: Je kräftiger man strampelt, desto eher wird man ihn wieder verlassen.

Nein, nicht paradox ist die Welt auf dem Velosattel, sondern in Ordnung wie sonst kaum mehr irgendwo. Hier, einen guten Meter über Boden, herrscht absolute Gerechtigkeit. Schummeleien sind ausgeschlossen; vorwärts kommen nur jene, die beherzt in die Pedale treten, wer hoch hinaus will, muss beharrlich an seiner Form arbeiten, und zu Überholmanövern sind lediglich Leute in der Lage, die ihre Weggefährten an Einsatz und Rasanz überbieten.

Die Grenzen meiner Muskelkraft sind die Grenzen meiner Geschwindigkeit. Und doch: Wo lässt sich Freiheit so unmittelbar erleben wie auf dem Velo? (Bild: Raymond Depardon / Magnum)

Egal aber, in welche Temposphären er sich aufschwingt, abheben wird der Pedaleur nie. Die Grenzen seiner Muskelkraft sind die Grenzen seiner Geschwindigkeit, und auch wenn er sie mit den Füssen nicht berührt, bleibt er der Erde doch immer verhaftet. Kurzum, das Velo ist das aufrichtigste aller Verkehrsmittel und eine Erfindung, die allen Freunden der Freiheit das Herz höherschlagen lassen muss – gleichgültig, ob sie draussen in der Natur den Körper aufs Rad schwingen oder ihm lesend im Sessel den Geist zuwenden.

Ein Ersatz für Pferde

Aufregend ist die Geschichte des Velos allemal. Als es vor 200 Jahren in seiner ersten, noch durchaus kümmerlichen Form auf die Bühne des Verkehrsgeschehens rollte, befand sich der Mensch in Abhängigkeit. Wollte er weite Strecken innert nützlicher Frist zurücklegen, war er auf die Dienste des Pferds angewiesen, das er entweder besteigen oder vor irgendeinen Karren spannen musste. Zwar hatten Tüftler schon seit Jahrhunderten mit kurbelbetriebenen «Muskelkraftwagen» experimentiert. Aber erst als eine Klima- und Nahrungsmittelkrise die Pferde in Massen dahinraffte und sich das Abstellen auf ihre Stärke als problematisch erwies, kam ein einigermassen verkehrstaugliches Modell auf den Markt.


Am 12. Juni 1817 präsentierte der deutsche Forstbeamte Karl Freiherr von Drais sein Laufrad, das als erstes Velo in die Geschichte einging. Fünfzehn Stundenkilometer schaffte er damit. (Bild: Imago)

Am 12. Juni 1817 präsentierte der deutsche Forstmeister Karl Freiherr von Drais in Mannheim eine selbstgebaute «Fahrmaschine ohne Pferd» und beeindruckte die Zeitgenossen mit der «grossen schnelligkeit» seiner simplen Konstruktion: Auf einem «Reitsitz auf zwey hintereinanderlaufenden Rädern» stiess sich von Drais mit den Füssen vom Boden ab und legte so 15 Kilometer in einer Stunde zurück.

In der Folge weckte diese Urversion des Velos europaweites Interesse, und obschon sich die Begeisterung über das doch recht unpraktische Gefährt rasch abkühlte, ist mit ihm das fundamental emanzipatorische Prinzip in die Welt gekommen, das die Velos bis heute antreibt: Auf dem Fahrrad löst sich der Mensch aus der Abhängigkeit von fremden Mächten und setzt sich aus eigener Kraft in Bewegung. Dass das mündige Individuum in der Lage sei, selber die Verantwortung für den Gang seines Lebens zu übernehmen – diesem Leitgedanken des 19. Jahrhunderts folgte das Velo in allen Entwicklungsschritten, die es ab den 1860er Jahren sukzessive machte, bevor es in der Belle Epoque seine grosse Blüte erlebte.

Bahn frei fürs Individuum

Als Kind seiner Zeit war das Fahrrad so konsequent am Individuum orientiert wie kein Verkehrsmittel neben ihm. Während die Dampfschiffe mit Massen von Menschen über die Meere zogen und die Eisenbahnen ihre Passagiere in Waggons pferchten, um sie auf einem immer dichteren Netz von fest verlegten Schienen zu transportieren, überliess das Velo die Wahl der Route und den Zeitpunkt des Aufbruchs seinem alleinigen und autonomen Fahrer.

Fernab von vorgespurten Pfaden bewegte und bewegt sich der Pedaleur. Er lenkt sein Gefährt in eben die Richtung, die einzuschlagen ihm gefällt, und nie hat er das Gehust eines Sitznachbarn im Ohr oder die aufgefaltete Zeitung eines Mitreisenden im Gesicht, sondern immer den Fahrtwind der Freiheit um die Nase. – Strampelnd auf dem Rad entkommt der Mensch dem Kollektiv und seinen Konventionen.

Wie manches beengende Korsett wurde abgestreift, seit das Rad in den 1890er Jahren seinen Siegeszug angetreten hat!

Keinesfalls aber kapselt sich von der Umwelt ab, wer sich derart selbstbestimmt eigene Wege bahnt. Im Gegenteil: Zur Sicherung seines Überlebens in jeder Sekunde vollkommen auf die Gegenwart konzentriert, schärft der Radler all seine Sinne für die Vorgänge in der Welt – nicht ihr kehrt er in seiner buckligen Position den Rücken zu, nein, nur die störenden Zwänge, mit der sie seine Freiheit beschränkt, versucht er hinter sich zu lassen. Und dies mit beachtlichem Erfolg: Wie manches beengende Korsett wurde abgestreift, seit das Rad in den 1890er Jahren seinen Siegeszug durch Europa angetreten hat!

«Das Bicycle hat zur Emanzipation der Frauen aus den höheren Gesellschaftsschichten mehr beigetragen als alle Bestrebungen der Frauenbewegung zusammen.» Die österreichische Frauenrechtlerin Rosa Mayreder mag mit ihrer Analyse etwas hoch gegriffen haben, aber dass das Fahrrad gerade für die Selbständigkeit der weiblichen Hälfte der Menschheit eine grosse Rolle gespielt hat, ist unbestritten. Rigide Kleiderbestimmungen begannen sich zu lockern, mehrschichtige Röcke wichen praktischen Hosen, und selbst die ungesunden Corsagen, gegen die etliche Ärzte seit Jahrhunderten gekämpft hatten, wurden aus dem Weg geräumt, als sich mit dem Velo die Bewegungsfreiheit durchsetzte.

Deren segensreiche Wirkung reichte freilich weit über den Kleiderschrank hinaus. Dank dem Zweirad lernten die vormals in den Stuben und Küchen gehaltenen Töchter die Strassen kennen. Sie übten sich im Orten von Gefahren und Hindernissen, konnten und mussten jetzt eigene Entscheidungen treffen und merkten, wie es bei Emile Zola heisst, dass die Lenkstange im Leben fest und besonnen geführt werden muss. Nebst dem Charakter profitierte indes auch der Körper von dem neuen Gerät: Das Velo, hielt ein Beobachter um 1900 fest, trage endlich wieder dem so lange vergessenen Umstand Rechnung, dass die Frau «ein von der Natur zu selbständiger Bewegung bestimmtes Wesen ist».


Adam Opel über das Fahrrad
Adam Opel über das Fahrrad (aufgenommen an der Landesgartenschau BaWü in Villingen-Schwenningen 2010)

Eine höchst menschliche Maschine

Nicht nur auf die Frau trifft diese Feststellung zu. Das Wesen des Menschen schlechthin ist von Bewegung geprägt, und kein Ding harmoniert besser mit diesem humanen Grundprinzip als das Velo, das den Stillstand verpönt: Nur wenn es fährt, ist das Zweirad stabil; die Dynamik ist sein Lebenselixier und der Fortschritt seine einzige Gangart.

Kein Wunder also, verkörperte das Fahrrad um die Jahrhundertwende, als in Europa eine veritable Velomanie einsetzte, die Moderne perfekter als jede andere Erfindung. Da ihm der Ruch von Hochgeschwindigkeit und Spitzentechnologie anhaftete, wurde das rasende Rad von den Futuristen als Taktgeber einer neuen Zeit gefeiert, von Kulturpessimisten als Maschine des Verfalls gegeisselt und von diversen Ingenieuren als Vorbild und Ansporn zum Bau eines noch schnelleren Individualverkehrsmittels benutzt.

Vom allmählich aufkommenden Auto wurde das verehrte Velo denn auch nicht gleich überrollt. Vielmehr bildeten die beiden in den Augen der Zeitgenossen zunächst eine grosse «Familie des Fortschritts», eine gemeinsame Geschwindigkeitsfront gegen die trägen Kutschen und die plumpen und vermassten Eisenbahnen. Noch 1903 sah man das Auto auf diese Weise quasi als Ersatzrad für jene, die wie der Autor Otto Julius Bierbaum «mit Bäuchen gesegnet sind».

Nichts könnte falscher sein als diese Einschätzung. Zwischen den beiden Gefährten liegen Welten, denn aus humaner Perspektive ist das Automobil ein einziger Etikettenschwindel: Selber fahren tut der Mensch in ihm gerade nicht – die auf dem Velo gewonnene Verantwortung fürs eigene Vorwärtskommen verpufft beim Auto in einer Abgaswolke.

Natürlich, auch der Velofahrer profitiert von der Technik, doch finden der menschliche Organismus und das mechanische Gerüst beim Radeln zu einer mirakulösen Einheit zusammen: Die Maschine beflügelt die Kraft des Menschen und potenziert die Energie, die er selber generiert. So wächst der Fahrer zwar weit über sich hinaus, überschreitet aber nie die Grenzen dessen, was er mit seinem Körper zu leisten und mit seinem Verstand zu begreifen vermag. Das Strampeln im Sattel ist die Ursache, die das Fortkommen im Raum direkt bewirkt. Das Auto dagegen, in dem anstelle des Menschen ein Motor die Leistung erbringt, löst diese Verbindung in rauschhaftem Tempo auf: Kaum ist das Gaspedal angetippt, fliegt der Wagen durch die Welt, ohne dass der Lenker in seinem Polster wüsste oder fühlte, warum.

Das ist ein mobilitätstechnischer Geniestreich, gewiss. Aber so schnell die Blechbüchse auch braust, mit dem existenziellen Gefühl des Pedalens wird sie niemals mithalten können: Was Freiheit für den Menschen wirklich bedeutet, ist nirgends schöner als auf dem Velo zu erfahren.

(aus der NZZ von Claudia Mäder 9.6.2017)

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... und zum Schluss Fahrradwitze

   
         
   
         
   
         
   
         
   
         
   
         
   
         
       

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